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tonica version 5.1 (Demoversion)

- Kompositionsprogramm für vierstimmige Choralsätze

whc Musiksoftware, 128 DM


Vorbemerkung

Zu diesem Programm liegen zwei Rezensionsvarianten vor:

  • eine umfangreiche, detaillierte Vollrezension mit genau begründeten Beschreibungen der Stärken und Schwächen des Programms (52 KB)
  • eine Kurzbewertung zur schnellen Information über das Produkt.

Für weitergehende Informationen oder aber für genaue Beispiele linken einzelne Begriffe in der Kurzrezension zu den entsprechenden Stellen im Text der Vollversion.


Kurzbewertung tonica 5.1 Demoversion

...alle Jahre wieder
kommt das Weihnachtsfest
auf die Erde nieder
was den Diri streßt.

So klingt es wohl im Inneren einer jeden DirigentIn, wenn er/sie an die bevorstehende Weihnachtsfeier in ihrer/seiner Gemeinde denkt. Schließlich beliebt es der anspruchsvolle Gemeinde von heute, zu solchen Gemeindefeiern etwas musikalisch nicht Alltägliches kredenzt zu bekommen. "Ach, wenn ich doch komponieren könnte", hört man dann den geplagten Dirigenten seufzen, "dann könnte ich meiner Gemeinde doch etwas Besonderes anbieten, eine vierstimmige Chorversion von 'O du fröhliche' zum Beispiel, die noch nie zuvor das Licht der Welt erblicket hat."

Und siehe da, aus den unendlichen Weiten des Internets (und der Musikmesse Frankfurt) schallt plötzlich die frohe Botschaft des Softwareherstellers WHC: "Wohl denen, die da tonica haben, denn ihnen wird geholfen werden!" tonica - ein Programm, welches nach Herstellerangaben selbständig "im Stile alter Meister" komponieren könne; man brauche nur die Melodie eingeben, und der Computer mutiere zum eigenen Haus-und-Hof-Compositeur. Dabei soll der Computer den Kompositionsstil von Bach und Reger imitieren können und einen vierstimmigen Satz abliefern, der sich fast so schön anhöre, als wenn er von den "echten" Komponisten konzipiert worden wäre.

Soweit die Versprechungen. Bevor aber nun gejubelt und gejauchzt werden darf, sei einmal kritisch betrachtet, ob denn nun mit tonica der kontrapunktierende Computer eine katastrophale Kackophonie, oder aber eine kongenial konzipierte Komposition konstruiert. Der PC und die Muse - funktioniert diese Synthese?

Voreinstellmöglichkeiten sind in ausreichendem Maße vorhanden. Man kann nicht nur zwischen den Kompositionsstilen Johann Sebastian I", "Johann Sebastian II" und "Max Reger" wählen, sondern auch den Harmonisierungsrhythmus definieren - d.h., ob die Akkordfolge der Begleitung in Achtel-, Viertel-, oder Halbenoten zu Papier; pardon: zu Monitor gebracht werden soll -, sich alternative Harmonisierungsvorschläge geben lassen, Umspielungen der Akkorde setzen lassen und noch etliches mehr. Zudem besitzt tonica die Fähigkeit, die gewählten Akkorde zusätzlich entweder funktionstheoretisch, stufentheoretisch oder im Roman-Numeral-System (in Großbritannien gebräuchlich) zu analysieren und unter dem Notensystem zu benennen. Auch eine automatische Erkennungsfunktion von offenen und verdeckten Quintparallelen ist eingebaut.

Die Bedienoberfläche ist übersichtlich und läßt sich intuitiv bedienen; schnell ist man mit den Funktionen des Programms vertraut.

Die Konfrontation von Bach mit dem Wohltemperierten Computer verläuft nicht ohne Verluste zuungunsten der Musikalität. Schon bei dem Versuch, eine normale Melodie wie z.B. GB191 "Kommt her, ihr seid geladen" harmonisieren zu lassen, zeigen sich etliche Schwachpunkte des Programms: Es entstehen in allen Stilversionen "Johann Sebastian Bach I", "Johann Sebastian Bach II" und "Max Reger" satztechnische Fehler, welche von etlichen verdeckten Quintparallelen bis hin zu übermäßigen Schritten reichen. Dabei zeigt sich, daß die Erkennungsfunktion von offenen und verdeckten Quintparallelen nicht hundertprozentig einwandfrei funktioniert. Obwohl tonica eine ganze Bandbreite von Akkorden kennt, ist die Wahl der Akkorde stellenweise recht unglücklich; sie wirken teilweise zusammenhanglos aneinandergereiht. Und auch die Bezeichnungen der Akkordfunktionen sind dann und wann falsch.

Eine kontrapunktische Ausarbeitung der einzelnen Stimmen ist in den verschiedenen Versionen der Bach-Surrogate nur ansatzweise realisiert. Besser sind die Versionen im Stile Max Regers, in welchen die Einzelstimmen vor allem rhythmisch recht eigenständig gestaltet werden.

Diese Eindrücke bestätigen sich beim Betrachten der Harmonisierungen anderer Melodien. Zudem zeigen sich die in tonica implantierten Komponisten nicht gerade von ihrer kreativen Seite, wenn es darum geht, z.B. eine Melodie zu harmonisieren, die relativ eintönig ist (GB 512 "Wunderbarer König"). Wo hier einfallsreiche Ausgestaltung der Begleitstimmen gefragt ist, weil die Melodie kaum Reize zum Hinhören anbietet, werden stattdessen nur Akkorde in immer gleicher Form wiederholt. Dadurch sinkt allerdings die satztechnische Fehlerrate...

Zudem ist tonica nicht imstande, Ausweichungen oder gar vollständige Modulationen zu setzen, ebenso scheitert tonica bei dem Versuch, kirchentonale Melodien sinnvoll dur-/molltonal zu harmonisieren. Wenn diese erstellten Klänge tatsächlich ihren Weg durch die Gehörgange gefunden und sich nicht wegen ihrer Sperrigkeit bereits im oberen Schneckengang des Ohrs verkantet haben, ist es bis zu einem ernsten Gespräch mit dem Musikfachberater bestimmt nicht mehr weit... Dafür sind die tonica-Versionen von Liedern der Erweckungsbewegung teilweise wirklich verwendungsfähig und manchmal sogar besser als unsere Gesangbuch-Versionen.

Vermißt wird die Möglichkeit, Triolen einzugeben, womit eine Harmonsierung von Liedern wie z.B. GB 299 "Geht es auch durch Sturm und Wetter" leider ausgeschlossen ist. Eine weitere Einschränkung bedeutet es, daß nur der Sopran vorgegeben werden kann. Einmal zur Abwechslung den cantus firmus in den Tenor oder Baß setzen - da treten die angeheuerten Komponisten Bach und Reger in den Streik. (weitere Mängel)

Fazit

Insgesamt läßt sich sagen, daß die qualitative Bandbreite der von tonica erstellten Sätze von verwendungsfähig bis hin zu musikalischer Nonsens reicht. Die meisten Varianten sind dabei höchstens eingeschränkt brauchbar. Lösen muß man sich aufgrund der ausgezählten Mängel von der Illusion, daß diese erstellten Sätze so gut seien wie die von Bach oder Reger, oder aber ihren Stil genau repräsentieren. Die Personalstile von Bach oder Reger werden höchstens angedeutet. Zudem kann nicht der Anspruch erhoben werden, daß die geschaffenen Sätze satztechnisch fehlerfrei seien, oder aber daß die Quintparallelen-Erkennungsfunktion bzw. die Harmoniebezifferungsoption einwandfrei funktionieren würden.

Nun - die tonica-Sätze sind immer noch besser als so manche stümperhafte Eigenkreationen etlicher Dirigenten. Dennoch erscheint es angebrachter, den veranschlagten Preis von 128 DM in einen Harmonielehrekurs an der örtlichen Musikschule zu investieren. Sofern man sich tonica zulegt, um etwas Abwechslung in den Chor zu bringen, sei die Idee erwähnt, dieses Geld besser für entsprechendes Notenmaterial auszugeben. (vgl. auch Fazit der Vollrezension).

Natürlich könnte dieser Rat vielleicht anders ausfallen, wenn nicht die Demoversion, sondern eine Vollversion zur Begutachtung vorgelegen hätte. Eine Demoversion soll aber positiv zu einer Kaufentscheidung beitragen, was in diesem Fall allerdings überhaupt nicht gelingt.

Der PC ist demnach doch nicht von der Muse geküßt worden.

3/7/1999 Dietmar Korthals